GeoWerkstatt-Projekt des Monats August 2019
Projekt: Visuelle Kommunikation zur Verhaltenssteuerung bei der Routenwahl
Forschende: DFG-Graduiertenkolleg SocialCars, Stefan Fuest
Projektidee: Wahrnehmungsbasierte Visualisierung von Routenempfehlungen mithilfe von Methoden der kartografischen Generalisierung, zur Unterstützung des Bewusstseins für Verkehrssituationen während der Routenentscheidung
Wir kennen es alle: Besonders in den dicht besiedelten Regionen der Erde nimmt der Straßenverkehr immer stärker zu, sodass Probleme wie Stau, Luftverschmutzung oder Unfälle immer häufiger Bestandteil des alltäglichen Lebens werden. Eine Ursache für diese Probleme ist unter anderem eine nicht optimale Verteilung von Fahrzeugen innerhalb des Straßennetzes. Denn viele Fahrer wählen immer die kürzeste, gewohnte Route. Eines der Hauptziele dieser Arbeit ist daher, alternative Routen visuell zu empfehlen, die nicht immer zwangsläufig die optimalen Routen für den einzelnen Fahrer darstellen, sondern vielmehr die temporär effizientesten Routen mit Blick auf die gesamte Verkehrssituation sind.
In Navigationssystemen werden die vorgeschlagenen Routen meist farblich auf einer Karte hervorgehoben. Insbesondere bei einem Stau ziehen viele Fahrer es dennoch vor, der vom Stau betroffenen kürzeren, bekannten Route zu folgen, anstatt einer weniger befahrenen und somit temporär effizienteren Route. Die Alternativrouten erscheinen als „Umwege“, eine auf den ersten Blick weniger sinnvolle Alternative, da sie nicht auf direktem Wege ans Ziel führen.
Ein Grund für diese Wahrnehmung ist die sogenannte „Karte im Kopf“: Wenn wir jemandem den Weg beschreiben, dann haben wir keine geographisch korrekte Karte vor Augen, sondern rufen uns eine kognitive Karte aus unserem Gedächtnis hervor, die ein eher verzerrtes Abbild der realen Umgebung widerspiegelt. Basierend auf solchen kognitionspsychologischen Konzepten sind in diesem Projekt bisher zwei algorithmische Ansätze entstanden, die die tatsächliche Geometrie einer Straße in der Art verformen, dass sie so aussehen, als seien sie einer „Karte im Kopf“ entsprungen.
Der erste Ansatz bezieht sich auf die Annahme, dass Reisende Straßenlängen eher bezüglich der tatsächlichen Fahrzeit als der korrekten geometrischen Abmessungen wahrnehmen, z.B. werden in der Regel Straßen mit einem hohen Verkehrsaufkommen und geringerer Fahrgeschwindigkeit als (geografisch) länger empfunden im Vergleich zu Straßen mit einem geringeren Verkehrsaufkommen (siehe Abbildung 1).
Der auf dieser Idee basierende Algorithmus berechnet für jedes Liniensegment eines Straßennetzes einen „Vergrößerungs- bzw. Verkleinerungsfaktor“: Ist die aktuelle Verkehrsdichte in einem einzelnen Straßensegment hoch, wird die Straße verlängert. Ist eine Straße gerade wenig befahren, wird sie in der Karte verkürzt (siehe Abbildung 2, gefärbte Strecken). Die Berechnung der wahrgenommenen Straßenlänge basiert also für jedes Straßensegment auf der Abweichung der Verkehrsdichte vom Durchschnitt, wobei die originale Geometrie auf die durchschnittliche Verkehrsdichte hinweisen soll. Die topologischen Beziehungen zwischen den einzelnen Straßen bleiben unverändert.
Im nächsten Schritt sollen in diesem Projekt Straßensegmente mit einem hohen Verkehrsaufkommen systematisch verzerrt werden, indem einem Liniensegment zusätzliche Punkte hinzugefügt werden, sodass letztendlich ein weniger gerader Linienzug entsteht. Dies steht im Gegensatz zur häufig in der Kartographie angewendeten Vereinfachung von Linienobjekten, z.B. mittels des Douglas-Peucker Algorithmus. Diese konventionelle Methode wird im Projekt für Straßen mit geringem Verkehrsaufkommen angewendet, um so den dadurch entstehenden Eindruck eines fließenden Verkehrs zu visualisieren.
Um eine repräsentative Sammlung verschiedener Visualisierungstechniken für verschiedene verkehrs-relevante Szenarien zu erhalten, ist es wichtig, diese im Rahmen von Nutzerstudien zu validieren. Verstehen und akzeptieren die Nutzer die Visualisierungen? Hat die Visualisierungsmethode letztlich Einfluss auf die Routenwahl?
Das Projekt soll Straßennutzer bei der Routenplanung unterstützen, sodass diese langfristig ein Gespür für die effizienteste Route entwickeln und dann eher bereit sind, Umwege in Kauf zu nehmen, die vorteilhaft für die gesamte Verkehrssituation sind. Die entwickelten Visualisierungen sollen letztlich als Ergebnis eines Routings in einer Web-Karte dargestellt werden. Hier sollen Nutzer zwischen verschiedenen Szenarien sowie den zugehörigen Visualisierungsmethoden wählen können. So kann auch dynamisch auf Änderungen der effizientesten Route reagiert werden, die während der Navigation entstehen.