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Sturmfluten auf Helgoland mit Gravimetern messen - so schwankt die Ozeanmasse

GeoWerkstatt-Projekt des Monats Juli 2024

Projekt: Atmosphere-Ocean Background Modelling for Terrestrial Gravimetry (im Rahmen des Sonderforschungsbereichs TerraQ)

Forschende: Ludger Timmen (LUH), Henryk Dobslaw (GFZ Potsdam), Christian Voigt (GFZ), Adelheid Weise (LUH)

Projektidee: Erstellung eines Krustenverformungsmodells, das die vertikale Verschiebung der Erdoberfläche aufgrund unterschiedlicher Wassermassen in der Nordsee und deren Auswirkungen auf das Schwerefeld der Nordsee und Nord-/Mitteleuropas beschreibt.

Welche Veränderungen ruft der Klimawandel an der Nordsee hervor? Wie stark steigt der Wasserspiegel? Wie verändern sich der Tidenhub an der Küste und das Auftreten von Sturmfluten, die Küstengebiete und das einzigartige Wattenmeer in der Deutschen Bucht bedrohen?

Mit verschiedensten geodätischen Methoden lassen sich solche Veränderungen sehr genau bestimmen: Einerseits mit Satellitentechnik aus dem Weltall wie etwa der Altimetrie oder der Satellitenmission GRACE-FO. Korrigiert und validiert werden die Ergebnisse mit zusätzlichen terrestrischen Messungen.  

So wird die Nordsee-Insel Helgoland zurzeit intensiv mit geodätisch-gravimetrischen Messtechniken genutzt, um die Vertikalverschiebung der Insel und des umliegenden Meeresboden bei  Meerwasserauflasten besonders während der Sturmfluten zu bestimmen.

2018 hat Ludger Timmen vom Institut für Erdmessung der Leibniz Universität Hannover (LUH) erstmals drei Federgravimeter auf der Nordseeinsel Helgoland installiert, um vor allem in den Winterhalbjahren die maximalen Wassermassenschwankungen (Sturmfluten) zu beobachten. Durch die unterschiedlichen Auflasten der Ozeanwassermassen verschiebt sich die Erdkruste nach unten oder hebt sich wieder bei Entlastung. Diese wenigen Zentimeter Bodenverschiebung bewirken Schwereänderungen an den Gravimeterpunkten, die mit sehr hoher zeitlicher Auflösung gemessen werden und auch gedämpft in Hamburg und Hannover nachweisbar sind. Hebt sich das Land, wird die gravitative Anziehung der Erdmassen auf ein Gravimeter kleiner, und bei Landsenkung erhöht sich die beobachtete Schwerekraft, da das Instrument dann näher am Geozentrum ist, also näher an den Gesamtmassen der Erde.

© ife
Auf der Felseninsel Helgoland werden mehrere Meerespegel betrieben, um die Veränderungen des Meeresspiegels zu beobachten. Eine kontinuierlich messende GNSS Station (Satellitenpositionierungssystem) erfasst im Oberland die geometrischen Änderungen des Punktes. Zusätzlich wurde die Erdbebenwarte unterhalb der James-Krüss-Schule von 2018 bis 2021 mit unterschiedlichen Federgravimetern bestückt. Seit 2020 betreibt das GFZ Potsdam am Südhafen im Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung ein Supraleitgravimeter, was regelmäßig mit einem Freifall-Absolutgravimeter überwacht wird.

Über die Messung mit den Federgravimetern ließen sich Schwerevariationen von über 100 nm/s² nachweisen. Damit sind Erdkrustenverschiebung von bis zu drei Zentimetern über Zeiträume von einem bis zwei Tagen verbunden. Eine Modellierung entsprechender Wassermassenbelastungen mit einem maximalen Wasserstandsanstieg von zwei Metern in der Deutschen Bucht stimmt mit den beobachteten Gravitationseffekten zusammen. Die mit GNSS beobachteten vertikalen Verschiebungen stimmen damit auch überein, können allerdings nicht die gewünschte hohe zeitliche und geometrische Auflösung liefern. Seit der Installation des supraleitenden Gravimeters iGrav047 des GFZ Potsdam am AWI (Ostkaje, Südhafen Helgoland) im Februar 2020 profitiert die Forschung von einer kontinuierlichen Überwachung der Wasserstände. Dies wird auf die Ostsee ausgeweitet werden.

Die gravimetrischen Ergebnisse lassen sich mit den Modellen zu den Nordseewassermassen aus der Ozeanographie vergleichen, um die Variabilität der gezeitenbedingten und windgetriebenen Ozeanmassen zuverlässig nachzuweisen. Außerdem unterstützen die Ergebnisse die Hintergrundmodellierung zu den zeitlichen Variationen des Geopotentialfeldes bei der Auswertung der Satellitenmission GRACE-FO. Hier werden so genannte De-Aliasing-Produkte für kurzfristige Variationen in Atmosphäre und Ozean benötigt, um langfristige regionale und globale Veränderungen in der Erdatmosphäre und den Ozeanen überwachen zu können.

© ife
(Links) Simultane Messungen mit dem hannoverschen Absolutgravimeter und dem Supraleitgravimeter des GFZ Potsdam; (Rechts) Vermessung der Helgoländer Küstenlinie, der Landtopographie und der Tidepegel im Hinblick auf die gravimetrischen Sensoren im Oberland und im Hafen (hier mit Dr. Chr. Voigt, GFZ Potsdam).

Publikationen

C Voigt, R Sulzbach, L Timmen, H Dobslaw, A Weise… (2023): Geophysical Journal International, Volume 234, Issue 3, September 2023, Pages 1585–1602, https://doi.org/10.1093/gji/ggad147

Voigt, C., Sulzbach, R., Dobslaw, H., Weise, A., Timmen, L., Deng, Z., Reich, M., Stolarczuk, N., Peters, H., Fietz, M., Thomas, M., Flechtner, F. (2024): Non-tidal ocean loading signals of the North and Baltic Sea from terrestrial gravimetry, GNSS, and high-resolution modeling, ESS Open Archive, DOI = 10.22541/essoar.171136797.71160253/v1

Weise, A., L Timmen, Z Deng, G Gabriel, C Rothleitner, M Schilling, C Voigt (2020): Observing Ocean Mass Variability with Spring Gravimeters–Storm Surge Induced Signals on the North Sea Island Helgoland. AVN Allgemeine Vermessungs­nachrichten 127 (4), 163-173, gispoint.de/artikelarchiv/avn/2020/avn-ausgabe-042020.html

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