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Veränderungen im Millimeterbereich erkennen: Künstliche Intelligenz analysiert Bodenbewegungen

GeoWerkstatt-Projekt des Monats Januar 2025

Projekt: Detecting Change Points in Time Series of InSAR Persistent Scatterers Using Deep Learning Models

Forschende: Prof. Dr.-Ing. Ingo Neumann und M.Sc. Kourosh Shahryarinia

Projektidee: Die Erde ist ein dynamisches System und ist seit ihrer Entstehung immer in Bewegung. Einige Bewegungen sind deutlich sichtbar, andere liegen im Millimeterbereich und erstrecken sich über längere Zeiträume, sodass sie nur schwer zu erfassen sind. Wenn die Infrastruktur von diesen Bewegungen betroffen ist, kann dies gravierende Folgen haben – etwa Risse und Brüche in Häusern, Straßen oder Brücken. Ziel dieses spannenden Projektes ist es, durch die Anwendung geodätischer Messverfahren, Bewegungen im Millimeterbereich zu detektieren und im Anschluss auszuwerten.

Interferometrische Satellitentechnologie

Um dieses Ziel zu erreichen, wird die sogenannte „Persistent Scatterer Interferometrie (PSI)“ eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine Auswertungsmethode, die (SyntheticApertureRadar-) Satellitenbilder nutzt, um hieraus hochgenaue Deformationen der Erdoberfläche ableiten zu können. Dabei können Bewegungen von bis zu 1mm/Jahr erkannt werden.

Methodik: Verfahren zur Identifikation von Bodenbewegungen mittels Künstlicher Intelligenz

1. Zeitreihenanalyse als Grundlage

Für die Untersuchungen muss als erstes die Position einzelner Punkte auf der Erdoberfläche über eine bestimmte Zeit hinweg immer wieder gemessen werden. Jeder Datenpunkt dieser Zeitreihe repräsentiert dabei die Position eines spezifischen terrestrischen Referenzpunktes zu einem definierten Messzeitpunkt. 

Die Auswertung solcher Zeitreihen ist mit vielfältigen methodischen Herausforderungen verbunden. So müssen störende Einflüsse (Rauschen) reduziert werden, periodisch wiederkehrende Muster und auch andere geringfügige, nicht unmittelbar offensichtliche Veränderungen erkannt werden.

2. Datenvorverarbeitung

Um die Daten für die anschließende KI-Analyse vorzubereiten, wurde ein mehrstufiger Vorverarbeitungsansatz entwickelt. Zunächst erfolgte die Bereinigung der Rohdaten, wobei periodische Schwankungen eliminiert, umweltbedingte Einflussgrößen herausgefiltert und die Daten normiert wurden.

Im nächsten Schritt wurde etwas Neues ausgetestet: Die Zeitreihendaten wurden nun in ein bildhaftes Format mittels des Gramian Angular Summation Field umgewandelt. Mit Hilfe dieser Repräsentation lassen sich die Daten räumlich interpretieren, was über konventionelle Analysemethoden hinausgeht und sich besonders für den Einsatz neuronaler Netze eignet.

3. Anwendung von Deep-Learning-Modellen

Das hier verfolgte Deep-Learning-Konzept basiert auf neuronalen Netzen, um komplexe Muster in hochdimensionalen Datensätzen zu erkennen. Zwei spezialisierte Modellarchitekturen kamen dabei zum Einsatz:

   - U-Net-Modell: Ursprünglich für die Analyse medizinischer Bilddaten entwickelt, erwies sich U-Net als leistungsfähiges Modell, um komplexe räumliche Strukturen aus den Daten zu extrahieren. Dieses neuronale Netz unterstützt insbesondere die Segmentierung und Klassifizierung relevanter Merkmale innerhalb der Datenrepräsentationen.

   - BiLSTM-Netzwerk: Das bidirektionale Long Short-Term Memory (BiLSTM)-Netzwerk erlaubt die gleichzeitige Analyse einer Zeitreihe in vorwärts- und rückwärtsgerichteter Richtung. Dadurch können langfristige Abhängigkeiten und Muster erkannt werden, die konventionellen Modellen häufig verborgen bleiben.

4. Verwendung synthetischer Trainingsdaten 

Da reale Datensätze oft unvollständig oder unzureichend annotiert sind, erstellten die Forschenden für das Training synthetische Zeitreihendaten mit kontrolliert eingeführten Veränderungspunkten. Diese Vorgehensweise gewährleistet eine präzise Kenntnis des „Ground Truth“ und ermöglicht ein zielgerichtetes Training der Modelle, um selbst kleinste Bewegungen zuverlässig detektieren zu können.

5. Bayes‘scher Ensemble-Ansatz 

Um die Qualität der Vorhersage zu verbessern, wurden mehrere Modelle in einem sogenannten Bayes‘schen Ensemble kombiniert. Dabei werden die Ergebnisse unterschiedlicher Modelle statistisch zusammengeführt. Dadurch wird die Robustheit erhöht, da einzelne Modellfehler kompensiert werden, was zu einer insgesamt zuverlässigeren Prognose führt.

Praktische Anwendungen

Die beschriebenen Methoden ermöglichen es, extrem geringfügige Bodenbewegungen zu detektieren und spezifische Veränderungspunkte zu identifizieren. Dies ist in einer Vielzahl von Anwendungen einsetzbar, unter anderem:

  • um frühzeitig mögliche Hangrutschungen oder anderer geotechnische Risiken zu erkennen,
  • um den Zustand von Infrastrukturelementen wie Brücken, Straßen oder Bauwerken langfristig zu überwachen,
  • um seismisch aktive Gebiete genauer zu analysieren.

Erste Ergebnisse und Ausblick

Anhand einer Fallstudie in einem Testgebiet mit etwa 15 Metern Durchmesser in Hengstlage konnte gezeigt werden, dass die vorgestellte Methodik Veränderungspunkte mit höherer Genauigkeit identifiziert als bisherige statistische Verfahren.

Diese Studie demonstriert eindrücklich, wie aktuelle Ansätze der Künstlichen Intelligenz und im Speziellen des Deep Learnings genutzt werden können, um selbst aus stark verrauschten und komplexen Datensätzen präzise Erkenntnisse zu gewinnen. Zukünftige Arbeiten werden darauf abzielen, die Skalierbarkeit dieser Methodik zu erhöhen, weitere Anwendungsfelder zu erschließen und die Robustheit der Verfahren unter realen Einsatzbedingungen weiter zu optimieren.

© GIH
Räumliche Anordnung und Zeitreihen millimetergenauer Bodenbewegungsmessungen mithilfe von InSAR. Die farblich markierten Punkte (rot: aufsteigende Flugbahn, blau: absteigende Flugbahn) zeigen verschiedene Messstandorte auf einer Dachfläche in Hengstlage (Durchmesser ca. 15 m). Die zugehörigen Zeitreihen unten verdeutlichen langfristige Verschiebungen im Millimeterbereich zwischen 2015 und 2021.
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